01.07.2025, 07:55 - Wörter:
Buchhandlung Artemis’ Grove

Zwischen all den schiefen Häusern und alten Gemäuern der Winkelgasse fällt dieses dreistöckige, schmale Gebäude kaum auf und gerade das macht seinen Zauber aus. Die Fassade lehnt sich ein wenig nach vorn, als würde sie sich vor jedem Gast zum Gruße verneigen. Über dem Erdgeschoss ragt ein altes Vorsprung-Gesims, liebevoll mit Blumenkästen bestückt, die je nach Jahreszeit in bunten Farben leuchten und so einen warmen, einladenden Fleck in der manchmal grauen Winkelgasse bilden.
Im Schaufenster steht immer eine schlichte Vase mit frischen Hyazinthen, Hyakinthos gewidmet, eine stille Hommage an Schönheit, Verlust und die vielen Facetten queerer Liebe. Wer durch die kleine Tür tritt, merkt sofort, dass dieser Ort mehr ist als nur eine Buchhandlung. Zwischen Regalen voller Bücher aus der Muggel- und der Zaubererwelt schlängeln sich der Duft von frisch gebrühtem Tee und der warme Geruch von Keksen, die jeden Morgen im Haus gebacken werden.
Überall laden gemütliche Sessel dazu ein, ein Buch aufzuschlagen oder sich an einen der kleinen runden Tische zu setzen, die vorne beim Schaufenster und im hinteren Raum verteilt sind. Hier treffen sich Menschen, um in Ruhe zu lesen, Tee zu trinken oder sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Manchmal leise, manchmal mit verhaltenem Lachen, immer mit einem Gefühl von Geborgenheit. Gesellschaft leisten einem an diesem Ort auch vier Katzen - Charles, Anne, Andrew, Edward -, die es sich in Regalen, auf Fensterbänken oder den Schößen der Besuchenden bequem machen.
Die Buchhandlung ist ein Ort der Geschichten, nicht nur zwischen Buchdeckeln. Artemis, ihre Partnerin und ihr Ehemann Benjy haben ein feines Gespür für jene, die mehr suchen als nur einen Roman. Manchmal stecken sie heimlich einen Flyer zwischen die Seiten eines Buches, wenn sie spüren, dass jemand vielleicht Hilfe oder Anschluss braucht. Manchmal vermitteln sie Botschaften zwischen Liebenden, die ihre Korrespondenz nicht offen führen können: Ein Brief, sorgsam zwischen Seiten versteckt, übergeben als harmlose Leseempfehlung für „Mary“. Niemand im Laden würde je lesen, was nicht für ihre Augen bestimmt ist. Diskretion ist hier keine Pflicht, sondern ein Versprechen.
Queeren Besuchenden sei geraten, stets einen Blick auf das Blumenarrangement im Schaufenster zu werfen: Blühen dort rote Rosen, gilt dies als stilles Warnsignal. In solchen Momenten kann der Buchladen keine sichere Zuflucht bieten. Dann nämlich streifen Auror:innen oder Ministeriumsangestellte durch die Gänge, schnüffeln herum oder stellen Fragen, die man lieber unbeantwortet lässt.
Besuchende, die tiefer im Laden stöbern, stoßen dabei vielleicht auf ein ganz besonderes Buch: Eine alte, abgegriffene Ausgabe von „Das Bildnis des Dorian Gray“. Wer sie aus dem Regal zieht, löst einen magischen Mechanismus aus. Wie zarter Nebel verliert das Regal seine feste Form, schimmert durchscheinend und gibt den Weg frei in einen versteckten Raum. Dort warten Geschichten, die im Verborgenen blühen: Regale voller queerer Literatur.
Und manchmal, wenn es nötig ist, wird dieser Buchladen auch zur Rettungsleine: für heimliche Botschaften, für das behutsame Knüpfen von Lavendel-Ehen, um queere Menschen vor Zwangsehen zu schützen. Benjy und Artemis selbst kennen diesen Weg. Er ist es auch, der Menschen dabei weiterhilft und seine Expertise und Kontakte nutzt, um die passenden Menschen zusammenzuführen. Denn das Ehepaar Fenwick weiß, wie viel Mut es braucht, den eigenen Platz zu finden, wenn die Welt ihn einem nicht gönnt.
So ist dieser kleine, unscheinbare Laden ein sicherer Hafen in der Winkelgasse. Ein Ort, an dem Hyazinthen blühen, Geschichten leben und Menschen endlich so sein dürfen, wie sie sind.